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Weiterentwicklung auf menschlicher Ebene

„Ganz nebenbei“ entwickelt uns die A Cappella Improvisation auch menschlich weiter. Ob bewusst oder unbewusst ist hierbei herrlich irrelevant:

  • Unsere Stimme scheint besonders nah mit unserem Identitätsgefühl verbunden zu sein. So kommen in dieser Form musikalischer Kommunikation persönliche Verhaltensmuster und Glaubenssätze ganz besonders deutlich zum tragen bzw. zur Lösung.
  • Das improvisierte Singen spiegelt unsere ästhetische Prägung, unser Selbstbild, unser Selbstvertrauen, unsere Erlaubnis oder Nicht-Erlaubnis „einfach zu sein“ und zu agieren.
  • Die Musik fragt ganz selbstverständlich danach, klar und authentisch nach außen gebracht zu werden. So wird z.B. die Fähigkeit ausgebaut, sich präsent zu äußern, unabhängig vom Ergebnis zu sich zu stehen, sich „auszubreiten“ und zu führen, bzw. zu begleiten und zu folgen, sowie gleichberechtigt zu kommunizieren. Auch tauchen Themen wie übertriebene oder lückenhafte Abgrenzung zum Gegenüber auf und werden spielend und ohne Worte in einen größeren Einklang gebracht.
  • Wann immer sich physische, emotionale und psychologische Knotenpunkte zeigen, öffnet diese Improvisationsform ein geschütztes, nonverbales Feld zum überqueren und auflösen gefühlt bestehender individueller Grenzen.
  • Entsprechend hat meine Arbeit positive Auswirkungen auf das alltägliche Leben: Auch hier sind authentische Ausdrucksfähigkeit, selbstverständliche Präsenz und klare Ausstrahlung Ressourcen von größtem Wert.
  • Manche Lernende erfahren die Vokalimprovisation auch bewusst als spirituelle Schule: Das intuitive Wissen, wann ein Stück beginnt und endet, die Aufgabe des nach innen und außen Hörens, des wertfreien Aufgreifens von Impulsen, des Loslassens eigener Ideen zugunsten der Musik als Ganzes, des bereitwilligen Übernehmens vakanter musikalischer Rollen – also die Bewertungsfreiheit und Hingabe, die diese Art zu Singen allgemein verlangt,  lässt die Anbindung an ein größeres Ganzes fühlbar werden. Mit dieser Einstellung wird Stimmimprovisation leicht und die Frage, was jeweils gesungen werden soll, erübrigt sich.

Weiterentwicklung auf musikalischer Ebene

Für Neulinge genauso wie für Profimusiker bietet die A Cappella Improvisation ein endloses Spektrum an musikalischen Forschungsgebieten:

  • A Cappella Improvisation bereitet den Raum, die eigene Stimme zwang- und formlos zu erforschen, mit Neugier und Freude und ohne das „Muss“ eines vorgegebenen Rahmens stimmbildnerischer Anforderungen oder einer feststehenden Liedform bzw. Kompositionsstruktur.
  • A Cappella Improvisation ermöglicht, den eigenen musikalischen Ausdruck zu entdecken, das Zutrauen in ihn zu stärken und ihn weiterzuentwickeln – hin zu einer zuverlässigen Ressource dauerhaft authentischer stimmlicher Präsenz.
  • A Cappella Improvisation übt den „Mut“, sich immer neu dem Moment anzuvertrauen und schenkt die Erfahrung, wie unprätentiös und erleichternd schön es ist, die eigene Intuition in Anbindung an ein großes Ganzes „musizieren zu lassen“ – statt über das Ego „fürchterlich kreativ Musik erfinden zu wollen“.
  • A Cappella Improvisation erlaubt, bzw. fordert ab und an geradezu, sich „verrückt und ungezähmt“ auszudrücken. Die subjektiv gefühlten oder gesellschaftlich gewohnten Grenzen des Benimms oder der Ästhetik zu überschreiten ist mitunter sogar wichtig zur Erkenntnisgewinnung für die individuelle musikalische Weiterentwicklung.
  • A Cappella Improvisation schenkt die Freude von instantaner musikalischer Kommunikation, den Genuss des Zusammenklangs (Blending) mehrerer Stimmen und die Erfahrung immer neuen Überrascht-Seins – über sich selbst sowie über die entstehenden Stücke.
  • A Cappella Improvisation bietet unbegrenzte Möglichkeiten, die der Musik immanenten harmonik-bezogenen (Akkordklänge, Mehrstimmigkeit), agogischen (Phrasierung, Verlauf), dynamischen (laut und leise) und stilistischen Gesetze zu entdecken und ihnen hingebungsvoll folgen zu lernen.
  • Für alle, deren Interesse sich vertieft, bzw. für diejenigen, die bereits Erfahrung als Musiker besitzen, zeigt sie eine ganze Welt an Aspekten zur Weiterentwicklung auf: Immanente Strukturistik, Stilistik, Harmonik und Modulation, Sologestaltung und Phrasenbildung, Rhythmik und Polyrhythmik, Begleittechniken und Vocal Percussion, um nur einige zu nennen.

A Cappella Impro im Lichte eines professionellen künstlerischen Anspruchs

Gesehen im Lichte eines professionellen Anspruchs bietet – und zugleich verlangt – die freie Stimmimprovisation als Kunstform eine Synthese von authentischem musikalischen Ausdruck und künstlerischer Meisterschaft.

Wirklich authentischer musikalischer Ausdruck ist nach meiner Meinung die Meisterschaft der Hingabe an den „Willen der Musik“.

Das bedeutet einerseits, nie nur „irgendwelche hübschen, hochkompetenten Töne zu singen“, sondern – in jedem Moment neu präsent – eine über Melodien, Rhythmen und Geräusche geformte Aussage zu machen und somit eine Art „musikalische Geschichte zu erzählen“.
Andererseits, ob allein oder als Teil einer Gruppe, ist tiefe Hingabe gefordert: An die eigene musikalische, körperliche, emotionale und spirituelle Intuition des Moments, sowie an die des „Feldes“, also an das musikalische Thema, das sich im Raum und durch das Ensemble entfaltet. Diese Form der Hingabe hat natürlich nichts mit unterwürfiger Einschränkung der eigenen Persönlichkeit zu tun, sondern eher damit, der Versuchung zu widerstehen (bzw. sie ganz zu verabschieden), zeigen zu wollen, „wie toll man ist, und wie großartig man singen kann“.

Das ist besonders für Profimusiker manchmal schwierig, denn unser Identitätsgefühl ist eng verknüpft mit der Qualität unserer Performance. Die Erfahrung und das Wissen, dass die Intuition „immer“ definitiv klügere, rundere und vor allem berührendere Musik hervorbringt als unser Ego, wird im laufe der Zeit den Schaffensdrang beruhigen und durch heiteres Vertrauen ersetzen.

Auch loszulassen sind jedwede musikalische „Ideen“, denn eine Idee entsteht zwar im Hier und Jetzt, ist jedoch zu zukunftsgerichtet und unflexibel: Im nächsten Moment wird der Fluss der Musik mit Sicherheit schon etwas unvorhersehbar Unerwartetes verlangen. Erst die Bereitschaft, immer neu, immer wieder nach außen und innen zu hören, die Impulse jeden Moments aufzunehmen und musikalisch zu spiegeln, erst nach der Überwindung des „Wünschens, Wollens und Denkens“, ähnlich wie in der Meditation, ist die wirkliche Freude des „Frei Seins“  in dieser Kunstform zu erfahren.

Frei sein können verlangt selbstredend auch das Streben nach je nach Geschmack definierter Perfektion auf stimmbildnerischer Ebene, sowie ein hohes Level an Durchlässigkeit in der Wahrnehmung von Impulsen – die eigenen, die der Mit-Improviser und die des übergeordneten Ganzen.

Die künstlerische Meisterschaft ist meiner Meinung nach etwas zugleich Objektives wie Subjektives: Ich kann nicht nach etwas streben, das meine Vision oder mein Interesse mir nicht erkennbar machen.
Allgemeiner, also objektiver gesehen, liegt die künstlerische Meisterschaft nach meiner Philosophie von A Cappella Improvisation

  • im Durchdringen und parat haben verschiedenster musikalischer Stilrichtungen und Klangfarben, sowie unterschiedlicher (Poly)rhythmik-Themata,
  • in der Versiertheit in kompositorischem Hören (Gesamtklang, Blending, Harmonik, Modulation, Stilistik, Phrasierung, Puls, Rhythmik, Agogik, Dynamik, …),
  • in der Fähigkeit, stante pede jede von der Musik geforderte Rolle einnehmen zu können (Solieren, Führen, gleichberechtigte Kommunikation, Folgen, Begleiten, Harmonisieren, Schweigen, Melodiephrasen, Bassbegleitung, Vocal Percussion, Einwürfe, Effekte,…),
  • im Ausbalancieren des Spannungsfeldes zwischen Vertikalität (Pulsbezogenheit) und Horizontalität (Phrasenbildung),
  • sowie in der Abwesenheit von Zweifel und Hast, unabhängig vom Grundtempo der Musik.

Wie unschwer zu erkennen ist, ist das „mehr als“ eine Lebensaufgabe – eine wunderbare und abenteuerreiche, der ich mich als Performance Artist sowie im Dienste meiner Schüler mit Freude widme.

Text von:
Johanna Seiler

Stimm-Improvisation, wie ich sie sehe und lehre

Die A Cappella Improvisation ist – neben ihrer möglichen Ausprägung als Performance Art – ein unheimlich vielschichtiges Vehikel für Menschen, die sich über ihre Stimme musikalisch wie auch persönlich weiter entfalten möchten.

In der Vokal-Improvisation, wie ich sie verstehe und lehre, findet jede Stimme ihren Platz – ob schüchtern, unerfahren und behindert von negativen Vorurteilen „ihres Besitzers“ oder bereits ausgebildet, musikerfahren und frei. Denn die Improvisationen, die aus dem Moment heraus entstehen, sind mehr als die Summe der Einzelstimmen und entstehen nie „durch oder von“ einer bestimmten Person, sondern immer „irgendwo inmitten“  eines Ensembles.

Das macht sie zu einem wunderbaren Nährboden für Lernerfahrung und Entfaltung: Es geht immer um das, was gerade da ist, nie um das, was evt. individuell als fehlend oder fehlerhaft empfunden wird.
So ist es beispielsweise auch in einer gemischten Workshop-Gruppe aus – hier extrem gezeichnet – kompletten Neulingen und Profimusikern gegeben, dass alle gleichermaßen profitieren:
Ich sehe es als meine Aufgabe, für einen geschützten Raum zu sorgen und jeden Teilnehmer meiner Kurse individuell und entsprechend seines Levels, seiner momentanen Schwerpunkte und Bedürfnisse zu fördern und seine nächsten Schritte zu begleiten.
Mein profunder musikalischer Back Ground, meine Erfahrung im Bereich Systemik und emotionaler Prozessarbeit, meine stetig vertiefte Feinwahrnehmung und eigene Hingabe an das große (musikalische) Ganze stehen mir bei meiner Unterrichtstätigkeit zuverlässig zur Seite.
Getragen werde ich von meiner unbändigen Begeisterung für diese Arbeit und für all die Menschen,  die sich immer wieder „mutig ins Ungewisse stürzen“, um Neues zu erfahren und im besten Sinne mehr sie selbst zu werden, Menschen, die in dieser Welt der (Stimmen)-Musik Erkenntnis und Freude suchen – und finden.